Grußwort von Angélique Yumusak:
Ich freue mich, dass ich anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des LBB als Gast sprechen darf – und ich sage es gleich zu Beginn: Auf den ersten Blick scheinen Polizei und Gesundheitswesen zwei völlig verschiedene Welten zu sein. Doch wer genauer hinsieht, erkennt, wie viel uns verbindet.
Wir arbeiten in Berufen, in denen es um Menschen geht – um Sicherheit, Gesundheit, Schutz und Würde. Wir tragen Verantwortung, oft unter hohem Druck, mit psychischer und körperlicher Belastung. Und wir wissen: Ohne die Frauen in unseren Reihen würde weder die Pflege noch die Polizei funktionieren.
Frauen als Rückgrat – aber selten auf Augenhöhe
Im Gesundheitswesen sind über 75 Prozent der Beschäftigten Frauen. Sie sind das Rückgrat des Systems – in der Pflege, in sozialen Diensten, in therapeutischen und administrativen Bereichen. Doch je höher die Hierarchieebene, desto dünner wird die Luft für Frauen.
Dieses Muster kennen wir auch aus der Polizei. Frauen leisten tagtäglich Großes, doch Führungspositionen sind nach wie vor überwiegend männlich besetzt. Das ist kein Zufall, sondern Ausdruck gewachsener Strukturen, die Männern mehr Einfluss und Sichtbarkeit geben.
Deshalb brauchen wir Parität – in Führung, in Ämtern, in Gewerkschaften. Nicht als bloße Quote, sondern als Qualitätsmerkmal. Denn Entscheidungen werden besser, wenn Frauen mit am Tisch sitzen. Und ganz ehrlich: Wenn jeder Mann eine Frau gezielt fördern würde, bräuchten wir diese Diskussion längst nicht mehr.
Gesundheit ist auch eine Frage des Geschlechts
Wer von psychischer Gesundheit spricht, muss auch über Frauengesundheit reden. Frauen tragen den Großteil der Sorgearbeit – im Beruf und privat. Sie stemmen Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Haushalt und Job. Diese Dauerbelastung hinterlässt Spuren – auch in unseren Reihen.
Viele Frauen arbeiten in Teilzeit, nicht weil sie es wollen, sondern weil Strukturen es erzwingen. Das führt zu Überlastung, schlechteren Aufstiegschancen und finanzieller Abhängigkeit. Und selbst in der medizinischen Versorgung zeigt sich: Die Forschung orientiert sich immer noch stark am männlichen Körper – mit fatalen Folgen für Diagnose und Behandlung von Frauen.
Gewalt betrifft uns alle
Ein weiteres Thema, das wir nicht verschweigen dürfen, ist Gewalt. Beschäftigte im Gesundheitswesen erleben täglich Übergriffe – verbal, körperlich, psychisch. Und auch Frauen in der Polizei sind davon nicht ausgenommen, sei es im Dienst oder im privaten Umfeld.
Als Polizistin weiß ich: Gewalt hinterlässt Spuren, sichtbare und unsichtbare. Deshalb brauchen wir in allen Berufen, die mit Menschen arbeiten, klare Schutzkonzepte – und eine Kultur des Hinschauens und Ernstnehmens. Sexuelle Belästigung darf kein Tabuthema sein. Sie ist kein „Einzelfall“, sondern Ausdruck struktureller Machtungleichheit.
Gemeinsam stark – in Gewerkschaft und Gesellschaft
Ich bin überzeugt: Wenn wir Frauen stärken, stärken wir das System als Ganzes. Frauen denken in Gemeinschaft, sie tragen Verantwortung über sich hinaus. Aber sie dürfen nicht länger die sein, die ausgleichen, was Strukturen versäumen. Wir brauchen gerechte Rahmenbedingungen – für alle, die Verantwortung tragen.
Darum ist Gewerkschaftsarbeit so wichtig: Sie schafft Vernetzung, Schutz und Solidarität. Und sie erinnert uns daran, dass Gleichstellung, psychische Gesundheit und Schutz vor Gewalt keine Nischenthemen sind – sondern Fragen von Gerechtigkeit und Menschenwürde.
Lasst uns gemeinsam weiter daran arbeiten, dass Frauen nicht nur sichtbar sind, sondern gehört werden.
Nicht nur stark sein müssen, sondern auch geschützt werden.
Nicht nur dabei sind, sondern mitgestalten – auf Augenhöhe.
Denn Veränderung gelingt nur gemeinsam – mit Frauen und mit Männern, die bereit sind, Verantwortung zu teilen.